Simon Froehling – Dürrst.

Seit geraumer Zeit (und immer noch sehr) in Mode – autofiktionale Romane. Ich lese das sehr gerne. Und ganz besonders angetan hat es mir Simon Froehlings Roman „Dürrst“, bereits 2022 im Bilgerverlag erschienen und für den Schweizer Buchpreis nominiert – nun bei Diogenes als Taschenbuch erhältlich…

Der Text packt mich sofort, ich frage mich, ist es ein Coming-of-Age-Roman, LGBTQI+ oder gar ein Künstler-Roman? Es ist auch egal, man muss nicht immer alles zuordnen. „Dürrst“ ist eben, was es ist: eine temporeiche Tour de Force, die Beschreibung eines aufreibenden Künstler-Lebens, immer auf der Suche, nie zufrieden im Job, auch nicht im Privaten, umtriebig in der Szene, auf Klappen, in Parks, eher unbefriedigt, mit vielen ehrlichen und authentischen Einblicken in schwules Leben, immer auf der Suche nach dem Nichtvorhandenen. Bis es letztendlich eine Erklärung dafür gibt – die Diagnose einer Bipolaren Störung, Aufenthalte in der geschlossenen Psychiatrie, Verständnis und Unverständnis im Umfeld, bei Freunden, bei der Familie.

»Als junger Erwachsener wolltest du dich als spontaner und chaotischer Mensch sehen, und es hat lange gedauert, bis du dir eingestehen konntest, dass du nur in der Routine aufblühst, dass du Alltagsrituale brauchst.« Dies ist nicht die einzige Erkenntnis, die Andreas Durrer, genannt Dürrst, im Lauf der Jahre gewinnt. Sein Weg beginnt überraschend, eine Installation zu James Baldwins ›Giovannis Room‹ macht ihn fast über Nacht zum gefragten Künstler. Doch dann wird der Druck nach neuen Werken größer und die Tage, an denen er nicht aufzustehen vermag, zahlreicher. Künstlerische Höhenflüge wechseln sich mit psychischen Sturzflügen ab, so wie Dürrst auch sein Lager – die WG in Zürich, das Kleinstappartement in Athen, die Hotelzimmer in Kairo – und damit die Lover wechselt, wobei er eigentlich auf der Suche nach der großen Liebe ist. ›Dürrst‹ ist ein schonungsloser, gewitzter und liebevoller Roman über einen manchmal hilflosen und doch großen Helden. (Diogenes Verlag)

Das ganze Leben des Protagonisten ist ein einziger atemloser Kraftakt. Und genau so liest sich auch dieser Roman. Man ist nah an dieser Figur, begleitet „Dürrst“ durchs Leben in den zwei geschickt miteinander verwobenen Zeitebenen mit seiner permanenten Rast- und Atemlosigkeit. Als hätte Froehling die 280 Seiten des Romans während einer manischen Phase geschrieben (hat er vielleicht auch…). Ich habe Lust „Giovannis Zimmer“ von Baldwin nochmals zu lesen. Die Sprache Froehlings ist einfach, häufig obsessiv, emotional, direkt, ehrlich und doch sehr kunstvoll und hat unglaubliche Sogwirkung und Kraft. Ich habe „Dürrst“ in einem Atemzug durchgelesen und mich stellenweise fast darin verloren. Wunderbar. Grosse Lesempfehlung!

„Dürrst“ von Simon Froehling, 2024 (TB), Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-24747-3 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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