Jo Strømgren/Tanzkompanie St. Gallen: Matthäus 22:37-39 – Lokremise St. Gallen 23.02.2024

Man konnte Sie bereits in der grossartigen Uraufführung der Oper „Lili Elbe“ erleben sowie im famosen Doppelabend mit Choreographien von Johan Inger und Hofesh Shechter (den ich – als grosser Shechter-Fan – leider verpasst habe) – die Tanzkompanie St. Gallen. Zur Derniere von „Matthäus 22:37-39“ des norwegischen Choreographen JO STRØMGREN habe ich es nach St. Gallen in die Lokremise geschafft und einen grossartigen „Theatralen Tanzabend“ gesehen…

Frank Fannar Pedersen hat für den Neubeginn der Sparte Tanz eine internationale und energiegeladene Kompanie zusammengestellt und nach St. Gallen geholt – sie sind jung, sie sind hungrig und man wird noch sehr viel Spannendes von ihnen erwarten dürfen. Insgesamt siebzehn Tänzer:innen, zwei Ballettmeisterinnen und eine Dramaturgin sind es, die seit dieser Saison die Identität der Tanzkompanie St. Gallen ausmachen. Die Arbeiten Strømgrens haben immer Witz und zeigen eine teils skurrile Mischung von Tanz, Schauspiel, Slapstick, so auch in dieser Uraufführung, die er für die neue Tanzkompanie in St. Gallen kreiert hat. Er öffnet mit „Matthäus 22:37-39“ die Tür zu einer der grossen Fragen unserer Zeit: „Wie können wir als Menschen auf dieser Welt koexistieren?“. „What is the sound of our society?“. Dazu nutzt er das Setting einer fiktionalen Kloster-WG als Schauplatz – in St. Gallen naheliegend – und lässt die Stadt beschliessen, dass Männer- und Frauenkloster zusammenzulegen. Geschlechtertrennung ist out! Es kommt zu Missverständnissen, Verwirrungen, Konfrontationen, Herausforderungen, aber auch Begegnungen, die auf ein zukünftiges harmonisches Zusammenleben hoffen lassen. Basis ist die Bibelstelle Matthäus 22:37-39: „…Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst.“. Und so sieht man Nonnen und Mönchen und unglaublich viel biblische Zitate, es wird getanzt, es wird gesprochen und gespielt und es hat eine Unmenge an Witz und Aktualität und natürlich energiegeladenen Tanz. Dieses Stück passt hervorragend in die Lokremise, hat Tempo, Drive und ebenso viele stille und besinnliche Momente, man merkt nicht, wie die Zeit verfliegt und die gut 70 Minuten vorüber gehen und in einem tobenden Applaus des begeisterten Publikums enden. Das Schöne an dieser Produktion ist diese Selbstverständlichkeit, die über dem Ganzen liegt, das Ensemble, das Produktionsteam nimmt sich nicht zu ernst und kann sich augenzwinkernd über sich selbst und ihre Arbeit amüsieren, hinterfragen und auch Fragen unbeantwortet im Raum stehen lassen. „Wie sie vermutlich wissen, kann Tanz heutzutage alles sein, was wir uns vorstellen können» hören wir und «Es gibt keine Regeln mehr“. Bereits zu Beginn werden wir ebenso darauf hingewiesen, dass wir als Zuschauer oftmals Dinge nicht verstehen, sie selbst als Tänzer und Choreografen aber eben auch nicht immer. Das macht nichts. Denn zur Musik von Bach und Monteverdi, aber auch einem Tango von Carlos Gardel und „Highway to Hell“ von AC/CD sehen wir neben vielen skurrilen Momenten des Klosteralltags auch viele Situationen, die uns im Alltag begegnen, von exzessiven Lebensstilen bis hin zur Läuterung und Wiedergeburt, vom brennenden Dornbusch bis hin zum letzten Abendmahl jagt ein Tableau das nächste.

Nach diesem Abend wissen wir nicht, ob wir als Menschheit jemals miteinander koexistieren können (wohl eher nicht), aber ich weiss eines, ich kann es nicht erwarten, die nächste Produktion dieser tollen Kompanie zu sehen: Es ist eine Uraufführung von Frank Fannar Pedersen (gemeinsam mit Javier Rodríguez Cobos), der damit seine eigene choreographische Identität ab 6. April 24 auf der grossen Bühne des St. Galler Hauses vorstellt – „Fordlandia“…

Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:

Timekeepers: Tankard/November/Nijinskaja – Ballett Zürich 02.02.2024

Walkways: W. McGregor/C. Marston/J. Robbins – Ballett Zürich 01.01.2024

Alonzo King Lines Ballet: Deep River – Theater Winterthur 22.12.2023

Introdans: Fall/Pure/Kaash – Theater Winterthur 23.11.2023

La Veronal: Sonoma – Theater Winterthur 11.11.2023

Florentina Holzinger: TANZ – Theaterhaus Gessnerallee 10.11.2023

Nachtträume – Ballett Zürich Wiederaufnahme 04.11.2023

Estévez & Paños: La Confluencia – Suma Flamenca 2023/Teatros del Canal Madrid 22.10.2023

Walkways: W. McGregor/C. Marston/J. Robbins – Ballett Zürich Premiere 6.10.2023

Explosiv! (Foniadakis/Ekman) – Ballett Basel 16.06.2023