Es ist die erste grosse Premiere der TANZKOMPANIE ST. GALLEN in dieser Saison 2025/26 – ein Double Bill Abend mit zwei Choreographien von SHARON EYAL und BRYAN ARIAS auf der grossen Bühne des Theater St. Gallen…
Und wie immer lohnt sich auch diesmal die Anreise in den Osten der Schweiz. Nach seiner Arbeit „Colorful Darkness„, die Bryan Arias für den Triple Bill Abend „Countertime“ des Zürich Ballett kreierte und die mir sehr gut gefiel, war ich doch sehr gespannt auf diese neue Arbeit, die nun so komplett anders daherkommt und zusammen mit dem zweiten Stück von Sharon Eyal einen sehr breiten Bogen spannt. In beiden Stücken sticht für mich erstmals MITCH HARVEY besonders heraus, der durch seine Körpergrösse natürlich schon immer sehr auffällig war, aber für mich nie choreographisch gefeatured, nun aber omnipräsent in diese gut 100 Minuten und das ist auch gut so. Ausgangspunkt in „Please, let me dream“, dieser UA von Arias für die Tanzkompanie St. Gallen ist der Wunsch, seine Traumerinnerungen auf die Bühne zu bringen und so sehen wir sich überlagernde Szenen, verschiedene Welten, die aufbrechen, miteinander verschmelzen und immer wieder auseinanderdriften, wir sehen Emo-Punks und Superhelden, wir sehen den Alltag eines Paares und immer wieder die Flucht aus der Realität, hinein in andere, nicht unbedingt bessere Welten und Lebensrealitäten. Es gibt keine logischen Abfolgen, keinen Plot, viele Momente bewegen mich, andere ziehen belanglos an mir vorbei, es kommt mir vor, als tauche ich in das Innenleben eines Fremden ein, viele Dinge sind für mich klar, viele Dinge verstehe ich nicht – so ist das eben, wenn man in fremde Köpfe, in fremde Traumwelten eindringt, man kann das nicht bewerten. Vieles bleibt für mich diffus und das ist auch absolut in Ordnung und sicherlich interpretiert jeder Zuschauer all diese Momente komplett anders, ordnet sie für sich ein. BREGJE VAN BALEN hat hierfür ungewöhnlich dezente Kostüme entworfen, LUKAS MARIAN wie immer grossartiges Licht gezaubert. Die Musikauswahl hat für mich etwas von einer beliebigen Melange, sie ist weniger eigenständig, unterstreicht und kommentiert eher die Bewegungen der Tänzer:innen, bildet nicht deren Basis. Komplett anders hingegen im zweiten Stück des Abends: „PROMISE“ von Eyal Sharon, hier dominiert die hypnotische Musik von ORI LICHTIK quasi alles und setzt den Rahmen. Wie in Trance kann man sich der Faszination dieses Stücks nicht entziehen. Bei Eyals Arbeit sind es die Wiederholungen, die kleinen, manchmal fast nicht zu realisierenden Verschiebungen innerhalb des Bewegungsablaufs, die sich dann eben doch nachhaltig auf den Gesamteindruck auswirken, es sind eben diese minimalen Veränderungen, die dann Grosses bewirken und man blickt ständig wie gebannt auf die Tänzer:innen, wie sie als Gruppe durch den Raum gleiten, hochkonzentriert (und wohl unglaublich am Zählen) – ein Kollektiv und doch ist es äusserst spannend, sie alle auch einzeln zu betrachten, denn es passiert so unglaublich viel. Es ist ein starker Sog der hier entsteht, durch diese fantastische Musik, dieses Klangbild, diese Sounds, durch diesen durchgetakteten Bewegungsapparat, dem man wie fasziniert folgt, atemlos und fast immer auf halber Spitze getanzt. Man sehnt ein Ende herbei und doch wünscht man sich, dass es nicht enden soll. Ich bin hingerissen von dieser Arbeit Eyal, von dieser sublimen Emotionalität, die sich erst auf den zweiten Blick erschliesst und vor allem von diesen sieben starken Tänzer:innenpersönlichkeiten mit ihren skulpturalen Bewegungsabläufen – GUANG-XUAN CHEN, COKO DE WINDT, MITCH HARVEY, SWANE KÜPPER, VENETIA LIM JIA YEE, EMMA THESING UND IFIGENIA TOUMPEKI – die „Promise“ fulminant umsetzen. Und ich frage mich, ist das die Essenz von Tanz?

Und zuletzt bin ich ganz erstaunt, wie leicht es mir fällt, aufzustehen und mich in die fast schon obligaten Premieren Standing Ovations einzureihen. Always a pleasure in St. Gallen – Bravi!
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