Auch der vierte Band von Karl Ove Knausgårds „Morgenstern“-Reihe begeistert mich sehr. Er selbst sagt zu diesem Roman „Es ist ein sehr finsteres und unangenehmes Buch“ und ja, absolut – das ist es, aber unbedingt lesenswert, auch wenn es nicht wie die vorhergehenden Bände direkt an die Geschehnisse anknüpft, sondern eine ganz eigene Geschichte erzählt…
„Die Schule der Nacht“ packt mich von der ersten Seite an, es geht um das grosse Faust’sche Thema, es geht um Gut und Böse, es geht darum, was geschieht, wenn ein Mensch sich jeglicher Moral entledigt und skrupellos seinen Weg verfolgt, sich alles nur noch um ihn und sein Leben kreist, ohne Rücksicht auf Verluste, immer nur das eigene Ziel vor Augen.
Eine winzige Insel vor der norwegischen Küste: Kristian Hadeland, erfolgreicher Künstler mit einer Karriere in London und einer bevorstehenden Retrospektive am MoMa in New York, hat sich in die Abgeschiedenheit zurückgezogen. Er will seinem Leben ein Ende setzen. »Tod und Vergänglichkeit«, das war das große Thema seines fotografischen Werks, mit dem er sich über sämtliche Regeln hinwegsetzte und in der Kunstwelt für Furore sorgte. Für diesen Ruhm ist er einen faustischen Bund eingegangen. Jetzt steht er vor den Trümmern eines rücksichtslosen Lebens und bittet um Erlösung. Möglicherweise vergeblich. (Luchterhand Verlag)
Zwar ist der Roman Teil der grossangelegten Morgenstern-Serie, dieses Phänomen wird jedoch nur einmal kurz und auch eher beiläufig erwähnt. Natürlich ist das plötzliche Erscheinen eines neuen Sterns am Himmel unheimlich, es werden nicht erklärbare Kräfte freigesetzt, physikalische Regeln ausser Kraft gesetzt, die Menschen auf ihr Innerstes zurückgeworfen, in diesem vierten Band jedoch begegnen wir keinem Protagonisten der ersten drei Bände, vielmehr erleben wir mit Kristian Hadeland einen sehr unangenehmen Menschen, einen absoluten Egomanen, der buchstäblich über Leichen geht, um sein Ziel – den grossen künstlerischen Erfolg und Durchbruch – zu verfolgen, letztendlich auch zu erreichen. Es ist teilweise erschütternd mit welcher Kälte und fehlender, ja nicht vorhandener Empathie der Künstler über seine Familie und Freunde hinwegfegt, um seinen Weg zu verfolgen. Knausgård schreibt einmal mehr packend, erschafft in „Die Schule der Nacht“ ein eigenes Universum, fesselt bis zum Schluss, in dieser Reihe ist dies sicherlich der Teil, den man am ehesten als Pageturner bezeichnen kann, denn während die vorhergehenden Romane eher philosophische Themen abhandeln, glänzt dieser mit Spannung und Dichte. Spannend auch die Verknüpfung der Handlung mit der Biographie bzw. dem Werk des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlow und dessen Stück „Die tragische Historie vom Doktor Faustus“. Knausgård ist immer für Überraschungen gut und so blicke erwartungsvoll dem nächsten Roman dieser Reihe entgegen…
„Die Schule der Nacht“ von Karl Ove Knausgård, 2025, Luchterhand Literatur Verlag, ISBN: 978-3-630-87793-8 (Werbung)
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