Wagners „Tannhäuser“ zur Saison-Eröffnung ist jetzt nicht sonderlich aufregend, viel eher schon die Umstände für alle Beteiligten, dass die ursprünglich für diese Neuproduktion engagierte Regisseurin Tatjana Gürbaca zwei Monate vor Probenbeginn krankheitsbedingt absagen musste und MICHAEL THALHEIMER sehr kurzfristig sich bereit erklärt hat, die Produktion zu übernehmen…
Glücklicherweise hat Thalheimer mit diesem Kreativem bereits selbst schon zusammen gearbeitet und ist mit der Ästhetik der Ausstattung von HENRIK AHR bestens vertraut (in Genf 2023 zuletzt der gemeinsame „Parsifal“). Man hat also versucht, mit den quasi vorgegebenen Mitteln und zusätzlich eingebrachten eigenen Ideen das Beste aus dieser Situation zu machen. Es gibt einige interessante Ansätze und Ideen, jedoch bleiben mehr Fragen offen, als sie für mich nach den gut viereinhalb Stunden geklärt sind, in der offenen Ouvertüre wird uns der Venusberg präsentiert, sehr technisch, sehr futuristisch, im Programmheft sind Fotos vom Teilchenbeschleuniger des CERN zu sehen sowie das Raumschiff aus Stanley Kubriks „2001 – A Space Odyssey“, es ist mir jedoch immer ein Graus, wenn ich explizit nachlesen soll, was ich sehen werde, mein Anspruch an die Regie ist schon, dass es sich mir als Zuschauer auch ohne Recherche vermittelt und wenn nicht, dann eben nicht, dann überlege ich mir eben selbst etwas dazu und so habe ich das Gefühl, dass der Venusberg in dieser Produktion wohl ein Fantasieprodukt ist oder ein ersehnter Ort irgendwo fernab in der Zukunft, im All, in einer anderen Dimension – jedenfalls nicht irgendwo im thüringischen Wald in der Nähe der Wartburg. Relativ stringent zieht sich dieses Objekt bis zum Schluss durch und mündet in eine – zugegeben grossartig geleuchtete, fast schon apokalyptische Endzeitstimmung (Licht: STEFAN BOLLIGER) – mit einem sterbenden Tannhäuser, Erlösung findet er wohl nur im Tod, jedenfalls nicht im Glauben, nicht in der Vergebung, nicht in der für Wagner so typischen Erlösung, da nützt es auch nichts, dass im ersten Aufzug Maria höchstpersönlich an ihm vorbeiflaniert. Es gibt aber auch einige ganz wundervolle Momente und Ideen in dieser Produktion, etwa das allgegenwärtige Blut als Zeichen der Schande, der Schmach und wie wunderbar ist dieser Moment, wenn Tannhäuser sich beim Sängerwettstreit mit dem Blut übergiesst und Elisabeth ihm dieses liebevoll aus den Augen wischt, das finde ich einen der bewegendsten Momente der Vorstellung! Nach der sehr verkopften „La Traviata“ Karin Henkels vor der Sommerpause, nun also zum Auftakt der letzten Saison Aviel Cahns erneut eine ziemliche Kopfgeburt, die fordert. Musikalisch betrachtet muss ich leider sagen, dass der in dieser Vorstellung gehörte Tenor SAMUEL SAKKER in der Titelrolle für mich eine Fehlbesetzung ist, zugegebenermassen ein fantastischer Schauspieler, absolut überzeugend, grossartig (wie toll er ist beim Sängerwettstreit, wenn er ausbricht und von der körperlichen Liebe singt und sich das Hemd um die Hüften schwingt, das ist so glaubhaft und intensiv!), aber stimmlich klang für mich seine Stimme durchgehend überstrapaziert und an der Belastungsgrenze, schade, überhaupt nicht mein Geschmack, aber ein super interessanter Typ. Auch die Venus von VICTORIA KARKACHEVA hat mich nicht überzeugt, ich habe kein einziges Wort verstanden, mich permanent gefragt, in welcher Sprache sie singt – deutsch war das jedenfalls nicht. Ganz anders die Stimmen der Minnesänger und des Landgrafen Hermann von Thüringen (FRANZ-JOSEF SELIG), hier singt einer schöner als der andere und das ab ihrem ersten Auftritt, der Wiederbegegnung mit Tannhäuser im 1. Aufzug: JULIEN HENRIC als Walter von der Vogelweide, JASON BRIDGES als Heinrich der Schreiber, MARK KURMANBAYEV als Biterolf, RAPHAËL HARDMEYER als Reinmar von Zweter und natürlich allen voran STÉPHANE DEGOUTs Wolfram von Eschenbach, dessen schön geführter schlanker, lyrischer Bariton wunderbar klingt, sein „Lied vom Abendstern“ im 3. Aufzug ist sicherlich eines der musikalischen Highlights der Vorstellung, intonationsstark, sicher und wohlklingend in allen Lagen und sehr bewegend. Wunderbar die Tiermasken der Minnesänger (Kostüme: BARBARA DROSIHN), auch wenn sich deren tieferer Sinn mir nicht erschliesst – egal, schön sehen sie jedenfalls aus und sie stören keineswegs, eine Verbundenheit zur Natur, wer weiss das schon? Absolutes Highlight in dieser Besetzung ist die grossartige JENNIFER DAVIS als Elisabeth – wow, sie glänzt in der Hallenarie, sie ist darstellerisch omnipräsent und in jedem noch so kleinen Moment, in jeder musikalischen Sequenz auf dem Punkt und präzise. Brava! Sehr schön in Erinnerung bleibt auch der junge Hirt von CHARLOTTE BOZZI, ergänzt durch die vier Edelknaben im 2. Aufzug von LORRAINE BUTTY, LOUNA SIMON; ROXANE MACAUDIÈRE und ANNA MANZONI, die ziemlich aktionistisch bodenreinigend vor der Auslosung beim Sängerwettstreit für klare Gedanken in Tannhäusers Hirnwindungen sorgen sollen (??? oder whatever ???). Und einmal mehr ist der CHŒUR DU GRAND THÉÂTRE DE GENÈVE von MARK BIGGINS hervorragend einstudiert mit fast schon Bayreuther Qualitätsstandard. Das ORCHESTRE DE LA SUISSE ROMANDE spielt einen sehr getragenen Wagner, dem es mir stellenweise doch sehr am Tempo fehlt, vor allem Ouvertüre und Venusberg waren für mich ziemlich spannungslos, jedoch schafft Dirigent MARK ELDER beglückende Übergänge und bleibt mit der Dynamik durchgehend sängerfreundlich. Mir haben jedoch klare Akzente gefehlt, so war es für mich ein ganz netter musikalischer „Tannhäuser“, aber eben weder Fisch noch Fleisch. Alright, diese Saisoneröffnung in Genf hat mich jetzt absolut nicht umgehauen (froh sie gesehen zu haben, bin ich dennoch!) aber in dieser letzten Saison Cahns – bevor er zur Saison 2026/2027 die Intendanz der „Deutschen Oper Berlin“ übernimmt – gibt es noch einige spannende Produktionen zu entdecken, wie etwa Debussys „Pelléas et Mélisande“, Rameaus „Castor & Pollux“ oder – worauf ich am meisten warte – Frank Zappas „200 Motels“….
What’s next? – „Der Rosenkavalier“ an der Oper Zürich (ML: Joana Mallwitz/R: Lydia Steier)
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