Seit CATHY MARSTON die Leitung des Ballett Zürich übernommen hat, gibt es vermehrt auf Spitze getanzte Stücke zu sehen, aber nicht nur das, mit dem neuen Triple-Bill „Countertime“ präsentiert sie uns zum Saisonende nebst ihrer eigenen Kreation „Mrs. Robinson“ von 2022 die unbedingt sehenswerte Arbeit „Concerto“ (1966) von KENNETH MACMILLAN sowie die Uraufführung „Colorful Darkness“ von BRYAN ARIAS….
„Countertime“ ist gemäss Programmheft ein Triple-Bill mit Bezügen und Verknüpfungen zu den 50er und 60er Jahren, das kann man nun etwas weit hergeholt betrachten, funktioniert für mich aber dennoch (und im Grunde genommen ist das auch nicht so wichtig…). Und man kann es kaum glauben, aber erstmals ist eine Arbeit von KENNETH MACMILLAN – immerhin einem der ganz grossen britischen Choreografen – vom Ballett Zürich zu sehen. „Concerto“ mit seinen farbenfrohen Kostümen (Bühne und Kostüm: JÜRGEN ROSE) stammt aus dem Jahr 1966 und bildet mit seinem 1. Satz (Allegro) einen temporeichen Ensemble-Auftakt, dazwischen immer wieder NANCY OSBALDESTON und CHARLES-LOUIS YOSHIYAMA mit kraftvollen Pas de deuxs und beeindruckender Synchronität, bevor das Andante (2. Satz) mit MAX RICHTER und JOEL WOELLNER eher sanft, getragen, in sich ruhend daherkommt. Das Solo im 3. Satz (Allegro) wurde von MADOKA SUGAI getanzt, den Klavierpart übernahm KATERYNA TERESHENKO – bravo a tutti! Was für ein furioser Auftakt dieses dreiteiligen Abends!

Den Mittelteil bildet CATHY MARSTONs „Mrs. Robinson“, inspiriert vom Kultfilm „Die Reifeprüfung“ von 1967, jedoch mit einer zuletzt erstarkten Frau (unglaublich präsent und betörend: YUN-SU PARK als Gast – brava!), die sich vom Vorstadtmief mit den ewig lächelnden, putzenden, dem Manne unterworfenen „Desperate Housewives“ befreit und einen eigenen Weg beschreitet. Für derartige Stoffe, für literarische oder filmische Vorlagen hat Marston wirklich ein sehr gutes Händchen und in der Wahl ihrer Besetzung ebenso: LUCAS VAN RENSBURG als junger, unerfahrener Lover Benjamin Braddock ist grossartig, eine Idealbesetzung für diese Rolle und für mich das Highlight an diesem Abend – brillant in der tänzerischen Bewegung und im Ausdruck mit wunderbaren vielen kleinen Details, grossartiger Mimik und der zwingend erforderlichen jugendlichen Frische und so überrascht es auch nicht, dass er im Anschluss an die besuchte Vorstellung als einer von vier Tänzer:innen von den „Freunden des Balletts“ ausgezeichnet wird. Und einmal mehr begeistert NEHANDA PÉGUILLAN (hier als Elaine Robinson) mit ebenfalls starker Präsenz. Marston erzählt diese Geschichte mit der nötigen Portion Pathos, ohne in Kitsch abzugleiten, stellenweise mit sehr viel Witz und Humor und ihre Figuren haben alles was es braucht, vor allem die entsprechende psychologische Tiefe, die Konflikte sind klar erkennbar – ein wirklich starkes Piece mit der beschwingten und der Entstehungszeit des Films entsprechend arrangierten Musik (man hört akustische Gitarre und Saxophon) von TERRY DAVIES! Köstlich sind die Aufmärsche der auf Spitze dahin staksenden Hausfrauen, immer schön in Reih‘ und Glied, adrett und sauber, (nur kurz von kleinen hysterischen Zusammenbrüchen durchsetzt) – im Gegenzug dazu die mit ihren Reizen spielende Mrs. Robinson, kokett, verführerisch, von dem ihr zugewiesenen Leben und den auferlegten gesellschaftlichen Zwängen frustrierte Ehefrau, später dann glaubhaft das ausgelassene Herumtoben, das sexuelle Begehren mit ihrem jungen Lover und letztendlich nach einem Zusammenbruch das Erstarken, das Erwachen ihrer Eigenständigkeit. Befreiung! Grossartig!

Und dann geht der Vorhang auf zum letzten Stück des Abends: „Colorful Darkness“ und mein erster Gedanke ist – ich bin in St. Gallen bei der wunderbaren jungen Tanzkompanie von Frank Fannar Pedersen – kein Wunder, die fantasievollen, bunten Kostüme, Masken und Frisuren des Ensembles sind von BREGJE VAN BALEN, das einmal mehr grossartige Licht bzw. die geheimnisvolle, farbenreiche Dunkelheit stammt von LUKAS MARIAN, beide arbeiten viel für die St. Galler Kompanie, die Handschrift der Beiden erkennt man sofort und sie ist immer wieder aufregend und kreativ! Choreograph BRYAN ARIAS zaubert für uns einen finalen Schlusspunkt dieses Triple-Bills, der voller Schönheit und Überraschungen steckt, umso mehr, da man zwangsläufig mit den Symphonic Dances aus Bernsteins „West Side Story“ sofort die Strassenkämpfe der Jets und der Sharks assoziiert, nun aber in eine komplett andere Welt eintaucht. Es ist für mich eine interessante Erfahrung, ich stelle fest, wie sehr ich von dieser Musik inspiriert, sofort die New Yorker Strassenszenen aus der „West Side Story“ im Kopf habe und dann tatsächlich etwas Zeit benötige, um das mit diesen so komplett neuen Bilder von Bryan Arias zusammenzubekommen – aber es ist definitiv sehr cool und fast schon herausfordernd, jedenfalls richtig, dass man sich – wenn man diese Musik verwendet – komplett davon lösen und etwas wirklich Neues erschaffen muss und das ist dem Choreographen und seinem Team absolut gelungen. Inspiriert vom farbenfrohen Karneval in Puerto Rico zeigt uns Arias eine sehr moderne und temporeiche Choreographie mit vielen Jazz-Elementen (vor allem bei den Ensembles), die den Bogen des Abends noch einmal mehr in eine komplett andere Ecke spannt – was für eine Vielfalt an Bewegung ist vom Ballett Zürich und dem Junior Ballett in diesen facettenreichen 2 Stunden 40 Minuten zu erleben, was für eine musikalische Vielfalt ist von der PHILHARMONIA ZÜRICH unter Leitung von ROBERT HOUSSART aus dem Graben zu hören, grossartig und äusserst differenziert ist das, vor allem bei Bernsteins Musik, man spürt den Drive, diese unglaublich Energie, man kann sich der Kraft dieser Musik nicht entziehen, sie verschmilzt mit dem Tanz und der Atmosphäre auf dem silbrig-glänzenden Tanzboden, lässt uns in eine andere, stellenweise dämonisch anmutende Welt eintauchen und man kann sich freuen, denn die Produktion gibt es gleich zu Beginn der neuen Saison 2025/26 erneut auf der Bühne der Oper Zürich zu sehen – unbedingt hingehen!
Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:
Autographs: Pite/McGregor/Forsythe – Ballett Zürich 06.06.2025
Seeing Within Sights/TanzLuzern – Luzerner Theater 18.05.2025
Tanzkompanie St. Gallen: ORESTEIA Premiere – Theater St. Gallen 17.04.2025
Lost Letters/Lucia Lacarra – Bayerische Staatsoper München 13.04.2025
Wings of Memory/Bayerisches Staatsballett – Bayerische Staatsoper 12.04.2025
Of Light, Wind and Waters/Ballett Zürich – Oper Zürich 19.01.2025
Ballet Junior de Genève: Morau/van Opstal/Ouramdane – Theater Winterthur 17.01.2025
Tanzkompanie St. Gallen: Moved – Theater St. Gallen 12.01.2025
Murmuration de Sadeck Berrabah: Level 2 – Le 13ieme Art Paris 23.11.2024
Roberto Bolle and Friends – Theater 11 Zürich 10.11.2024
7 Kommentare