Drei absolut ikonische Stücke und choreographische Handschriften vereint „Autographs“, ein Triple-Bill-Abend des Ballett Zürich – man kann diese Arbeiten nicht oft genug sehen, denn immer wieder hinterlassen Sie grossartige Begeisterung: „Emergence“ von CRYSTAL PITE, „Infra“ von WAYNE MCGREGOR und natürlich WILLIAM FORSYTHEs „In the Middle, Somewhat Elevated“…
Seit Cathy Marston die Leitung des Ballett Zürich übernahm, sieht man wieder vermehrt Choreographien, die auf Spitze getanzt werden, kein Wunder also, hat sie für „Autographs“ diese drei Werke zusammengestellt. „Emergence“ als Auftakt ist einfach immer wieder der absolute Burner und hat schon am ursprünglichen Doppelabend mit Sol Leóns & Paul Lightfoots „Speak for yourself“ 2018 begeistert, zuletzt im Triple-Bill „Angels Atlas“ 2022 (zusammen mit Pites Choreographie „Angels Atlas“ und Marco Goeckes „Almost Blue“), somit ist „Emergence“ hier in Zürich schon fast ein moderner Klassiker. Es wimmelt und wammelt und kreucht und fleucht auf der Bühne. Die kanadische Choreographin Crystal Pite hat mit der Auftragskomposition von OWEN BELTON (ebenfalls Kanadier) 2009 ein Stück kreiert, welches versucht, die Interaktionen und das soziale Gefüge von Insekten zu untersuchen und aufzuzeigen – dies als Metapher, als Allegorie auf das Leben und Arbeiten in einer Ballettkompanie. Auch hier gibt es vermeintliche Führer und Arbeiter, Dominanz und Unterordnung. Auf der Bühne ein Nest, der wimmelnde Boden einer Wiese, Frauengruppen, Männergruppen, Machtkämpfe, Königinnen und Drohnen – wie im richtigen Leben, kraftvoll getanzt und von einer fast schon hypnotischen Ausstrahlung. Die Sogwirkung entsteht nicht nur durch das Setting (ein gemalter Prospekt, ein Nest, ein leuchtender röhrenartiger, teilweise den Zuschauer blendender Zugang) und das Licht (JAY GOWER TAYLOR/ALAIN BRODIE), sondern auch durch die einfallsreichen Bewegungsabläufe der Choreografin und der knapp 40 Personen starken Kompanie (Ballett Zürich und Junior Ballett Zürich). Den Mittelteil des Abends bildet „Infra“ von WAYNE MCGREGOR (der für das Zürcher Ballett bereits vor einigen Jahren das Stück „Kairos“ geschaffen hat) und das bereits 2023 im Triple Bill „Walkways“ (zusammen mit Marstons „Snowblind“ und den „Glass Pieces“ von Jerome Robbins) zu sehen war. „Infra“ entstand 2008 für das Royal Ballet (Covent Garden). Faszinierend bei seinen Arbeiten ist immer die Verbindung zwischen Tanz, Technik und Wissenschaft und so sehen wir eine Videowall als Setting, ein animiertes Bühnenbild des britischen Künstlers JULIAN OPIE. „Infra“ entstand nach den Londoner Bombenanschlägen von 2005 und reflektiert die Verletzlichkeit der urbanen Stadtgesellschaft, McGregor schaut hinter die oberflächliche Fassade der Grossstadt und erforscht, zeigt, bebildert im Kleinen und Detailhaften menschliche Geschichten, greift sich Einzelpersonen und Paarungen heraus, auf die er seinen Blick wirft, inmitten der Alltagshektik einer Grossstadt. Das funktioniert, hat eine immense Sogwirkung, die Musik von MAX RICHTER (leider nicht mehr live, sondern ebenfalls vom Band) liegt, schwebt darüber, darunter und verbreitet eine seltsame Melancholie. Es gibt in dieser vordergründig anmutenden Alltagsszenerie immer wieder aufblitzende Momente der Angst und des Schmerzes, der Verletzlichkeit. Zusammen mit der Videowall bilden die Tänzer:innen eine Einheit, eine Momentaufnahme, immer in ständiger Bewegung, umso erschreckender, wenn sich aus der Menge eine Einzelperson löst und offen ihren Schmerz, ihre Verletzlichkeit zeigt. Das irritiert und erscheint fast grotesk. Ganz besonders habe ich mich über das Wiedersehen mit LUCAS VALENTE gefreut, zudem bei „Infra“ zu sehen: KEITA BLOMA, GRETA CALZUOLA, WEI CHEN, GIORGIA GIANI, DANIELA GÓMEZ PÉREZ, MLINDI KULASHE, PABLO OCTÁVIO, CAROLINE PERRY, MCKHAYLA PETTINGHILL, KILIAN SMITH und JOEL WOELLNER.

Und natürlich ist es die konzeptionell richtige Entscheidung, Forsythes „In the Middle, Somewhat Elevated“ ans Ende dieses Triple-Bill-Abends zu stellen, alleine schon wegen der markanten Musik von THOM WILLEMS (in Zusammenarbeit mit Leslie Stuck) – denn was soll danach noch kommen? Es ist schwierig, diese scharfkantigen, prägnanten Sounds wieder aus dem Ohr zu löschen, aber es ist es vor allem die starke Choreographie von William Forsythe, die sich einbrennt. Diese exzessiven Dehnungen, Sprünge und Drehungen lassen den Atem anhalten und man blickt fasziniert auf diesen Hochleistungssport, der 1987 an der Opéra National de Paris mit Sylvie Guillem und Laurent Hilaire uraufgeführt wurde und 1997 in Zürich seine Schweizerische Erstaufführung hatte.

Präzise, exzessiv und kraftvoll sehen wir DANIELA GÓMEZ PÉREZ, KIYOKA HASHIMOTO UND BRANDON LAWRENCE, dazu INNA BILASH, GIORGIA GIANI, NEHANDA PÉGUILLAN, MCKHAYLA PETTINGHILL, CHANDLER DALTON, JOEL WOELLNER in dieser furiosen Arbeit, die fast moderner, aufregender, aufreibender wirkt, als die beiden vorhergehenden Choreographien und das, obwohl sie 20 Jahre vorher entstand und zudem wegen dieser knallgrünen, typischen 80er-Jahre-Outfits nebst diesen unglaublichen Bewegungsabläufen immer noch ein Hingucker ist – atemlos und faszinierend bis zum Schluss.
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