Aktuell am Grand Théâtre de Genève zu sehen: „Dido and Æneas“ – Henry Purcells Opernfragment ergänzt mit neuen Musiken von ATSUSHI SAKAI in der Regie und Choroegraphie von FRANCK CHARTIER des Kollektivs Peeping Tom und mit der immer wieder unglaublichen EMMANUELLE HAIM am Pult. Es ist die Wiederaufnahme mit Live-Vorstellungen nach den ausschliesslich gestreamten Vorstellungen während der Corona-Pandemie in der Saison 2020/21. Den Zuschauer erwarten knapp 2 albtraumhafte Stunden, deren Faszination man sich nicht entziehen kann…
Die Reise ans Grand Théâtre de Genève lohnt sich immer, denn hier gibt es häufig unbekanntere Werke fernab des gängigen Repertoires zu sehen, zumeist in hochkarätiger Besetzung (wie etwa zuletzt Giordanos „Fedora“ mit Aleksandra Kurzak und Roberto Alagna) und oft spektakulärer Umsetzung. Die Tatsache, dass es sich bei „Dido and Æneas“ um ein Fragment handelt, macht es natürlich einfacher, dies mit neuen (und wirklich grossartigen) Musiken zu ergänzen und/oder eine neue Storyline zu definieren. FRANCK CHARTIER erzählt uns die Geschichte aus Sicht einer gealterten Sängerin (grossartig: EURUDYKE DE BEUL), die wohl selbst einmal die Rolle der Dido verkörpert hat, sie erwacht aus einem Albtraum und schält sich langsam aus einer Vielzahl an Bettlaken, in denen Sie unter dem übermächtigen Porträt ihres Mannes geschlafen, sich verkrochen, sich versteckt hat (tolle Ausstattung: Bühne – JUSTINE BOUGEROL, Kostüme – ANNE-CATHERINE KUNZ, Licht – GIACOMO GORINI, sehr guter Sound – RAPHAËLLE LATINI). Ihr singendes Alter Ego heisst Eliza (…von Elyssa, ein weiterer Name von Dido, Königin von Karthago…) und ist ganz hervorragend mit MARIE-CLAUDE CHAPPUIS besetzt. Dies ist der Auftakt zu einer düsteren, über weite Strecken surreal anmutenden Szenerie mit sehr starken, oftmals beklemmenden Bildern, viel Nacktheit, Brutalität aber auch vielen traurigen, manchmal zärtlichen Momenten. Wunderbar, ja zauberhaft, wenn Æneas seinen Tee unaufhörlich fliessend serviert bekommt oder fortwährend der Verfall des Reiches durch den durch sämtliche Ritzen eindringenden Sand zu sehen, zu spüren ist, einzelne Personen fast darunter vergräbt, ein wunderbares Bild aber auch für die dahin rinnende Zeit und die Vergänglichkeit an sich. Grossartig auch die Szene der Hexen mit dem losgelösten Kopf und bildstark das Finale in all seiner Brutalität, wenn ein blutüberströmter Æneas (toll: ROMEU RUNA) in apokalyptischen Rauchschwaden seinen toten Sohn auf die Bühne trägt und wir als Zuschauer seinen Schmerz (mit-)ertragen müssen. Viele Bilder und Momente brennen sich unvergesslich ein, etwa Elizas (Chappuis) Klage „When I Am Laid in Earth“ (anrührend und herzzerreissend…), wenn die gealterte Dido nackt auf dem von Sand fast verschütteten Bett von Belinda gewaschen wird, bevor diese dann durch das Porträt an der Wand entschwindet. All das ist beklemmend und berührend, so wie es viele Momente in dieser Produktion gibt, die nur schwer zu ertragen sind und wohl deshalb auch beim Applaus viele „Buhs“ (für die Regie) zu vernehmen sind, denn es gibt nicht viel Schönes zu sehen und zu erleben, einzig Tragik und Schmerz und das ist für viele Besucher wohl nicht auszuhalten in seiner Konsequenz. Schön jedoch klingt der Chor (Einstudierung: MARK BIGGINS), der sich die ganze Zeit als voyeuristischer Zuschauer auf der oberen Balustrade im Bühnenbild befindet und ganz wunderbar tönt es auch aus dem Graben, hier steht die wunderbare Emmanuelle Haim und dirigiert diesen spannenden Abend gemeinsam mit Atsushi Sakai der die von ihm komponierten neuen Sequenzen dirigiert bzw. teilweise auf der Bühne selbst agiert. Es spielt das wunderbare Barockorchester LE CONCERT D’ASTRÉE. Das komplette Ensemble ist famos, neben MARIE-CLAUDE CHAPPUIS (Dido, reine de Carthage / Magicienne / L’Esprit) begeistern JARRETT OTT (Æneas, prince troyen / un marin), FRANCESCA ASPROMONTE (Belinda, dame d’honneur / deuxième sorcière) und YULIIA ZASIMOVA (Première sorcière / deuxième dame) und natürlich die fantastischen Mitglieder der Compagnie PEEPING TOM: MARIE GYSELBRECHT, ROMEU RUNA, HUN-MOK JUNG, EURUDIKE DE BEUL, CHRISTINA GUIEB, YI-CHUN LIU und BRANDON LAGAERT. Nach diesem beeindruckenden, nachhallenden Purcell folgt als nächste Produktion „Chowantschina“ von Mussorgsky, mit der Calixto Bieito seinen Zyklus russischer Werke beendet – can’t wait to be back again!
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
523: Le songe d’une nuit d’été – Opéra de Lausanne 31.12.2025
522: Un ballo in maschera – Oper Zürich 17.12.2024
521: Fedora – Grand Théâtre de Genève 15.12.2024
520: Der fliegende Holländer – Oper Zürich 10.12.2024
519: Liebe zu den drei Orangen – Theater St. Gallen 08.12.2024
518: Leben mit einem Idioten – Oper Zürich 01.12.2024
517: Ariadne auf Naxos – Oper Zürich 10.10.2024
516: Simon Boccanegra – Oper Zürich 27.09.2024
515: Der Doppelgänger – Luzerner Theater 12.09.2024
514: Tannhäuser – Bayreuther Festspiele 27.08.2024
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