The Butterfly Effect/Junior Ballett – Oper Zürich Premiere 16.02.2025

Es ist ein spannendes gemeinsames Projekt und entstand in engem Dialog mit Zukunfts- und Klimaforscher:innen der ETH Zürich und dem Zürich Ballett. Nebst einer ETH Global Lecture, in der Choreographen mit Klimawissenschaftler:innen der ETH Zürich diskutieren, ist ein neuer Triple Bill Abend für und mit dem Junior Ballett entstanden. Zu sehen sind neue Choreographien von CATHY MARSTON, LUCAS VALENTE und IHSAN RUSTEM: „The Butterfly Effect“ – diese Produktion zeigt, wie der Tanz die Vernetzung unserer Welt und die Herausforderungen des Klimawandels widerspiegelt…

Das erste Stück „A Question of Time“ von Ballett-Direktorin Cathy Marston stellt das Thema Zeit in den Mittelpunkt, eine heutzutage kostbare Ressource, die immer viel zu schnell verrinnt und den Takt für unser häufig mit Terminen vollgestopftes Leben vorgibt. Marston verwendet für diese Arbeit zu Beginn das wunderbar rhythmische Stück „De Snellheid“ (Die Geschwindigkeit) des holländischen Komponisten LOUIS ANDRIESSEN, der zusammen mit den immer schneller werdenden Bewegungen der Tänzer:innen das Thema hervorragend umsetzt, während zeitgleich die Ruhe in Person im hinteren Bühnenteil vor dem Backdrop hin- und herschaukelt und uns die Ruhe und Ausgeglichenheit zeigt, die wir suchen, aber offensichtlich nur sehr schwer finden. Und als Zuschauer kann man erahnen, dass wie Maia Roberts im Programmheft schreibt, die komplizierten Zählzeiten eine Herausforderung für die Tänzer:innen sind. Ein wunderbarer Kontrast dazu ist am Ende das immer wieder grossartig zu hörende Stück „The unanswered Question“ von Charles Ives, welches grundlegende Fragen nach dem Sein, nach der menschlichen Existenz stellt. Es fehlen die sonst für Marston so typischen – ich nenne es gerne die – „Marstonschen-Dreier-Knäuel“, diese verschlungenen, verknoteten Formationen die man in ihren Arbeiten häufig sieht, stattdessen temporeiches Durcheinander, wie von hysterischen Elementarteilchen, hektisch und auf der Suche, auf der Jagd nach den Erfolgen, auf dem Weg zum nächsten Termin des Tages, dazu die Sequenzen, die mich in ihren Bewegungsabläufen etwas an Forsythe und Robbins erinnern. Und ein sehr schönes Bild, wenn zuletzt der treibende Rhythmus von Andriessens Musik stoppt und die nun verlassene Schaukel sich langsam in die Ruhe pendelt mit den ebenfalls zur Ruhe kommenden Tänzer:innen am Boden und der Vorhang sich langsam vor der ersten Pause schliesst. Durchatmen!

In der Mitte dieses Triple Bill steht „Point of No Return“, eine Arbeit von Lucas Valente – der zuletzt im Juni 2024 auf der Studiobühne im Rahmen der „Next Generation“ Reihe seine tolle Arbeit „I don’t want this poem to end“ zeigen konnte (und dies auch selbst mit Giulia Tonelli getanzt hat). Er stellt die Frage, wie die Welt aussähe, wenn wir eben diesen umumkehrbaren Punkt überschritten hätten, jene kritische Schwelle, an der Veränderungen in der Umwelt nicht mehr rückgängig zu machen wären. Anhand der vier Jahreszeiten sehen wir diese Veränderungen, sehen eben jene spürbaren Hitzewellen und Stürme, jene eisigen Winter und zuletzt aber auch etwas Hoffnung mit einem zarten Wiedererwachen im Frühling – sehr starkes in glutrotes Licht getauchtes erstes Bild, das Ensemble pulsiert und atmet, fast als hätte man das Erdinnere, das Magma vor sich auf der Bühne. Wunderbar die vielen fliessenden Bewegungen der Gruppe, harmonisch, aufeinander eingespielt, ein Ganzes und doch bleibt jeder für sich ein Individuum. Diese Kraft und auch die weiteren starken Bilder manifestieren sich sehr durch die verwendeten Musiken, ganz wunderbar etwa im zarten „Nature Boy“ von Eden Ahbez.

Überhaupt ist die Musikauswahl bei allen drei Choreographien sehr stark und nachhallend, so eben auch im letzten Stück des türkisch-britischen Choreographen Ihsan Rustem mit der Musik von DAVIDSON JACONELLO und FELIX RÖSCH. Seine Fragestellung lautet titelgebend „What if?“ – was wäre wenn jeder von uns ein bisschen weniger egoistisch wäre und auch mal über seinen eigenen Tellerrand hinausschauen würde, denn jeder noch so kleine Schritt ist ein Beitrag in die richtige Richtung, kann eine Veränderung herbei führen. Auch diese Arbeit überzeugt mit äusserst starken visuellen Reizen (Bühnenbild: JÖRG ZIELINSKI & Licht: MARTIN GEBHARDT – für alle drei Stücke), tollen Partnerarbeiten und Gruppensequenzen und sehr starken Kostümen von LOUISE FLANAGAN (für alle drei Choreographien und mit nachhaltigen, recyelten Stoffalternativen, die möglichst wenig natürliche Ressourcen einfordern, produziert). Auch hier sehr starke, dramatische und nachhaltige Momente, etwa wenn zwei Tänzer wie verloren auf der Bühne stehen und ins/auf das Licht, das wie eine Sonnenfinsternis, wie die Corona eines Planeten wirkt, blicken, als gäbe es doch einen Funken Hoffnung für unsere Erde, jedoch in der Zukunft. Alles wirkt ein wenig futuristisch in dieser Arbeit. Sehr schön!

In allen drei Choreographien gibt es äusserst starke Momente und man sieht eine hervorragende nächste Generation an Tänzer:innen des Juniorballetts und mit einigen Besetzungen erahnt man auch schon wohin die Reise gehen wird, denn auch hier gibt es einen definitiven Fokus auf einzelne, vor allem männliche Tänzer, wie etwa LUCAS VAN RENSBURG oder MAKANI YERG. Die Produktionen des Juniorballetts sind immer wieder eine tolle Bestandsaufnahme und Entdeckung, kurzweilig mit interessanten neuen Perspektiven, Konzepten oder eben dieser „Butterfly Effect“ – Kooperation mit der ETH Zürich. Gemeinsam wollen sie mit diesem Projekt eine Botschaft der Hoffnung und des Mutes vermitteln bei diesem drängenden Thema unserer Zeit. Starker und wohlverdienter Applaus an diese Sonntagmittag für alle Beteiligten, absolut sehenswert!

Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:

Of Light, Wind and Waters/Ballett Zürich – Oper Zürich 19.01.2025

Ballet Junior de Genève: Morau/van Opstal/Ouramdane – Theater Winterthur 17.01.2025

Tanzkompanie St. Gallen: Moved – Theater St. Gallen 12.01.2025

Murmuration de Sadeck Berrabah: Level 2 – Le 13ieme Art Paris 23.11.2024

Roberto Bolle and Friends – Theater 11 Zürich 10.11.2024

Clara (Cathy Marston) – Ballett Zürich 01.11.2024

Tanzkompanie St. Gallen: LIMBO – Lokremise 06.10.2024

Next Generation – Junior Ballett Zürich, Studiobühne Opernhaus Zürich Premiere 25.06.2024

Nijinski – Ballett Zürich 22.06.2024

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