Etwas gespannt war ich schon, wie ein Tanzgastspiel auf der eher kleinen Bühne der Interimsspielstätte des Theater Winterthur funktioniert. Das Ballet Junior de Genève ist zu Gast mit einem Triple-Bill-Abend: Choreographien von MARCOS MORAU, MARNE VAN OPSTAL und RACHID OURAMDANE stehen auf dem Programm…
Der Saal im Kirchgemeindehaus Liebestrasse in Winterthur (während der Renovierung des Theaters) hat uns schon beim letzten Besuch sehr gut gefallen, aber ob tatsächlich genug Platz für eine Tanzproduktion ist? Nun, vor allem beim letzten Stück des Abends stösst man an seine Grenzen, dies tut dem absolut sehenswerten Gastspiel jedoch keinen Abbruch. Die Tanznachwuchs-Schmiede aus Genf besteht seit über 50 Jahren, geht auf George Balanchine zurück und auch wenn nicht jeder Moment perfekt ist, die geballte Wucht an Energie und Frische, die man zu sehen bekommt ist einfach grossartig und lohnt den Besuch. Der Abend beginnt mit Auszügen aus Moraus Stück „Cathedral“ (2019 für das Scapino Ballet Rotterdam entstanden) und sofort erkennt man diese typische Handschrift, es ist düster, dunkel, bedrohlich, unheimlich und hat diese typische Bewegungssprache mit schnellen aneinandergereihten Läufen von Füssen, Armen und Händen, mechanische Bewegungen, dabei steht die Gruppe fast immer im Mittelpunkt, es gibt keine oder wenig Soli und Paararbeiten – wenn man Moraus Arbeiten kennt, weiss man, was man bekommt – grossartige kraftvolle Momente und natürlich ist unter anderem Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“ immer wieder wundervolle Musik für eine Tanzproduktion.

Nach der Pause dann „Touch Base“ von Marne Van Opstal, neu aufbereitet von Chloé Albaret mit einer komplett anderen Tanzsprache. Dieses relativ kurze Stück wurde 2019 für einen Sommerworkshop des Nederlands Dans Theater geschaffen und greift die Kürze dieser Schaffensperiode auf und thematisiert das menschliche Bedürfnis, sich zu verbinden, etwas Neues zu erschaffen oder sich einfach nur zu treffen, um mit der Abstraktion einer Erinnerung nach Hause zu gehen. Diese Arbeit enthält kurze, aber intensive Momente, häufig wirken die grossen Gruppenmomente wie ein geordnetes Chaos, bevor wieder Ruhe einkehrt.

Neben Moraus Stück – dessen Arbeiten ich immer wieder grossartig finde – als Opener ist wohl „Tenir le temps“ von Rachid Ouramdane mein Highlight des Abends. Es ist eine Arbeit, die sehr viel Konzentration, Präzision und vor allem immense Ausdauer von den Tänzer:innen abverlangt und ist bestens bei einer derart jungen und energiegeladenen Kompanie aufgehoben. Das Stück entstand 2015 für die Kompanie L’A im Rahmen des Montpellier Festivals und beleuchtet das Zusammenspiel von Individuum und Gemeinschaft in Krisenzeiten: 15 Tänzer:innen bewegen sich in einem präzisen System aus rhythmischen Bewegungen und Domino-Effekten, finden dabei jedoch auch Momente tiefgreifender Individualität, die Spannung hält bis zum Schluss. Gemeinsam, ohne im Einklang zu sein, sichtbar in einzelnen Ausbrüchen von Soli und Duetten, zeigen die Darsteller einen gewaltigen Lebenstrieb, unterstützt von der eindringlichen Partitur des Komponisten Jean-Baptiste Julien. Sehr spannende Arbeit! Und wohlverdienter Schluss-Applaus im ausverkauften Saal…
Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:
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Murmuration de Sadeck Berrabah: LEVEL 2 – Le 13ieme Art Paris 23.11.2024
Roberto Bolle & Friends – Theater11 10.11.2024
Clara (Cathy Marston) – Ballett Zürich 01.11.2024
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Next Generation – Junior Ballett Zürich, Studiobühne Opernhaus Zürich Premiere 25.06.2024
Nijinski – Ballett Zürich 22.06.2024
Atonement (Cathy Marston) – Ballett Zürich 30.05.2024
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