Rachilde – Nein, ich bin keine Feministin.

Der Titel „Nein, bin keine Feministin“ sowie ihr Porträt auf dem Umschlag (eine Radierung von 1899 von Désiré Quesnel nach einer Fotografie von Otto Wegener von 1885) machen absolut neugierig auf das im Flur Verlag auf deutsch erschienene kleine Bändchen mit einem Essay der französischen Fin-de-Siécle Schriftstellerin Rachilde…

Bereits im September 2024 nun erstmal in deutscher Übersetzung von Alexandra Beilharz erschienen, bleibt dieser kleine Band erstmal etwas liegen auf meinem übergrossen Lesestapel und erst mit der Aufräumaktion zum Jahresende nehme ich diesen Essay zur Hand und vertiefe mich in diese nicht uninteressante Lektüre von der wohl die wenigsten Leser:innen je etwas gehört haben dürften. Dabei war Rachilde zu ihrer Zeit wohl eine offensichtliche Berühmtheit.  Rachilde (*1860) geht mit 21 Jahren nach Paris, um Schriftstellerin zu werden. Sie trägt Männerkleidung (mit amtlicher Erlaubnis, einem „permis de travestissement“!!!) und lässt auf ihre Visitenkarte drucken: „Rachilde. Homme de Lettres“. 1884 wurde sie mit dem Skandalroman „Monsieur Vénus“ berühmt. Es folgten über fünfzig weitere Romane bis zu ihrem Tod im Jahre 1953. Umso grösser ist die Verwirrung bei der Lektüre, warum sie in diesem Essay sich über die Frauen ihrer Zeit, die trinken und rauchen, sich von Religion und Glauben abkehren, sich das Haar kurz schneiden lassen und Hosen tragen, lustig macht, sich darüber amüsiert.

Die französische Schriftstellerin Rachilde beschäftigt sich hier auf provokante und humorvolle Weise mit dem Feminismus ihrer Epoche. An den Beispielen Erziehung, Bildung, Religion, Liebe und Mode analysiert sie das damalige Leben der Frauen und insbesondere der Schriftstellerinnen, der „Femmes de lettres“. Sie amüsiert sich über Frauen, die trinken und rauchen wie Männer, die sich das Haar kurz schneiden lassen und Hosen tragen. Das alles geschieht aber auch nicht ohne Selbstironie: Zu Beginn ihrer Karriere – bereits Ende des 19. Jahrhunderts! – hat sich die Autorin ebenfalls als Mann verkleidet. Als der Essay erschien, war Rachilde 68 Jahre alt und längst eine erfolgreiche Schriftstellerin und Literaturkritikerin. (Flur Verlag)

In den sechs Kapiteln nimmt sie Stellung zu den Themen Erziehung, Schulbildung, Religion, Liebe und Mode, bereits im ersten Kapitel „Entschuldigung“ erklärt sie sich und den anmassenden Titel „Nein, ich bin keine Feministin“ (im Original „Pourquoi je ne suis pas féministe“). Bei der Lektüre lernt man Rachilde etwas kennen, sie grenzt sich ab, sie hat etwas Arrogantes, ja Überhebliches, sehr sympathisch erscheint sie mir nicht. Oder ist dies alles nur Selbstironie? War sie auf dem absteigenden Ast ihrer Karriere und ein wenig frustriert? Oder ist es der Übersetzung geschuldet, hierzu müsste man jedoch das französische Original lesen, welches auch 2024 wiederveröffentlicht wurde und wohl dieser deutschen Ausgabe als Vorlage und Motivation zur Veröffentlichung diente. Etwas mehr Klarheit erhält man, wenn man weiss, dass dieser Text im Rahmen einer „Pourquoi“-Schriftenreihe erschien, in der sich verschiedene Persönlichkeiten zu den unterschiedlichsten Themen äusserten, Rachilde wählte das Thema Antifeminismus. Aus heutiger Sicht erscheint mir der Text stellenweise etwas gar trocken, auch wenn es einige witzige Passagen gibt und man über gewisse Äusserungen lächeln muss. Nun – man kann diesen Text finden wie man möchte – man erfährt jedenfalls sehr viel über diese interessante Persönlichkeit Rachilde, wer sie war, wie sie dachte, was ihr Leben und ihre Zeit ausmachte, alleine deshalb lohnt sich schon die Lektüre, auch wenn sie einem zur heutigen Zeit sehr fremd und manchmal auch etwas verwirrend vorkommt und Feminismus sich heutzutage mit komplett anderen Themen beschäftigt. Ich würde diesen Text heutzutage einreihen in die immer grösser werdende Anzahl und (wieder) zu entdeckender genderfluider Texte. Und natürlich ist es absolut lobenswert, wenn ein Verlag sich diesen Texten annimmt, sie übersetzt und veröffentlicht.

„Nein, ich bin keine Feministin“ von Rachilde, 2024 (im Original 1928 erschienen), Flur Verlag, ISBN: ISBN 978-3-98965-201-9 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Flur Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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