Heiner Goebbels: A House of Call – My Imaginary Notebook – Philharmonie de Paris 25.11.2024

Endlich haben wir es geschafft, in Paris nicht immer nur Vorstellungen in der Bastille und im Palais Garnier zu besuchen, sondern waren zu einem Konzert in der Philharmonie de Paris von Architekt JEAN NOUVEL. Und das Programm hätte spannender nicht sein können: „A House of Call“ von HEINER GOEBBELS – grossartig!

Die Architektur von Jean Nouvel muss man wirklich mögen und wie schon die von ihm umgebaute Oper in Lyon, so finde ich auch die Philharmonie in Paris zwar von aussen sehr schön, die Foyers und Gänge jedoch ziemlich dunkel und erdrückend, auch der Innenraum ist eher Geschmacksache, die Akustik ist jedoch grandios und wurde von Harold Marshall und Yasuhisa Toyota gestaltet, der bereits unzählige Konzertsäle, unter anderem auch die Elbphilharmonie Hamburg betreut hat. Das Konzert findet im grössten Saal, dem Grande Salle Pierre Boulez mit seinen 2400 Sitzplätzen statt und unser Platz ist direkt hinter der riesigen abgetrennten Ton-Regie, in der neben Heiner Goebbels himself noch 4 weitere Menschen vor vielen Pulten, Laptops und Bildschirmen den Abend verbringen und die ausgefeilte Elektronik steuern.

„A House of Call“ ist ein „Liederbuch“ für Orchester, das in vier Kapitel unterteilt ist:

Stone Scissors Paper
Grain de la Voix
Wax and Violence
When Words Gone

„House of Call“ besteht aus Rufen, Anrufungen, Appellen, Beschwörungen, Gebeten, Sprechakten, Gedichten und Liedern für ein großes Orchester. Aber das Orchester ruft nicht, sondern es wird mit den Stimmen konfrontiert. Es stellt sie vor, unterstützt sie, begleitet sie, antwortet oder widerspricht ihnen – wie in einem säkularen „Responsorium“. Als kollektive Antwort des Orchesters auf die vielen Einzelstimmen mit ihren eigenen Klängen und Sprachen. Sie sind ausschließlich akustisch präsent. Sie rufen entweder aus der Vergangenheit oder aus meinem persönlichen Umfeld: eigentümliche Stimmen, traditionelles Volksgut, Rituale, Literatur. „A House of Call“ ist kein akademisches Medienarchiv, sondern eher eine phonographische Sammlung aus meinem imaginären Notizbuch. Es folgt keinem System. (Heiner Goebbels).
Seine Quellen stammen von vielen Reisen, zufälligen Begegnungen, verstreuten Recherchen für künstlerische Projekte, manchmal auch für Projekte, die letztlich nicht realisiert werden konnten. Stimmen, die ihn berührt, verunsichert, beeindruckt und befremdet haben, kommen in diesem Konzert zu Wort, und die meisten von ihnen sind zum ersten Mal auf einer Konzertbühne zu hören. Etwa die Hälfte der Stimmen wurde mit historischen Phonographen auf Wachswalzen aufgenommen und ihre Entstehungsgeschichte ist oft unklar. Und so hört man ein Rauschen, ein Kratzen und lauscht gebannt diesen Toneinspielungen, die von den Orchesterklängen umrahmt werden. Das ist ein ganz besonderes Erlebnis (auch wenn während des Konzerts einige Menschen den Saal verlassen), die Lichtregie dazu stammt ebenfalls von Heiner Goebbels (und Hendrik Borowski). Kreiert wurde dieses Projekt zusammen mit dem ENSEMBLE MODERN ORCHESTRA unter der musikalischen Leitung von VIMBAYI KAZIBONI und in Zusammenarbeit mit den Berliner Festspielen, der Kölner Philharmonie, beuys 2021, der Elbphilharmonie Hamburg, musica Viva – Bayrischer Rundfunk, Wien Modern, Casa da Música Porto und war eben nun in Paris im Rahmen des „Festival d’Automne à Paris“ zu hören. Heiner Goebbels Musik ist immer ein Erlebnis und es ist Jahre her, seit ich zuletzt etwas von ihm gehört habe (das szenische Konzert unter Andrea Molino: „Industry and Idleness“ im Schiffbau 2010) – schade eigentlich, denn seine Musik ist wirklich grossartig, absolut modern und zeitgemäss. Goebbels Arbeiten sind immer ein Gesamtkunstwerk.

Zuletzt besuchte Konzerte:

Jan Willem de Vriend: Messiah – Tonhalle Zürich 20.12.2024

Cameron Carpenter: Bach/Franck/Mussorgsky – Tonhalle Zürich 13.12.2024

Popelka/Tamestit: Schnittke/Schumann – Tonhalle Zürich 05.12.2024

de Ridder/McVinnie: Thorvaldsdottir/Muhly/Bjarnason – Tonhalle Zürich 29.11.2024

Vokalensemble/Orchester Bacchanto: Paulus – Kirche Neumünster 15.11.2024

Klavierrezital Víkingur Ólafsson und Yuja Wang – Tonhalle Zürich 25.10.2024

Järvi/Ólafsson: Brahms/Thorvaldsdottir/Strawinsky – Tonhalle Zürich 18.09.2024

Joana Mallwitz: Dessner/Mahler – Tonhalle Zürich 05.07.2024

Herbert Blomstedt: Mozart – Tonhalle Zürich 20.6.2024

Achberger/Ensemble Opera Nova: Ives/Nancarrow/Carter/Crumb/Cage/Adams – Studiobühne Opernhaus Zürich 21.03.2024