Popelka/Tamestit: Schnittke/Schumann – Tonhalle 05.12.2024

Schon lange habe ich die Tonhalle Zürich nicht mehr derart leer erlebt – sehr schade, denn vor allem ANTOINE TAMESTIT mit Alfred Schnittkes Violakonzert lohnt den Besuch. Ganz ehrlich: wer nicht da war, hat definitiv etwas verpasst….

Wenn man liest, was Alfred Schnittke selbst über das Bratschenkonzert schreibt, so wirkt dieser Konzertbesuch noch viel beeindruckender, denn kurz nach der Fertigstellung dieses Konzerts erlitt Schnittke den ersten von vier Schlaganfällen: „In gewisser Hinsicht hat das Stück den Charakter eines – vorläufigen – Abschieds. Zehn Tage lang, nachdem ich die Arbeit daran beendet hatte, befand ich mich in einer Situation, aus der es kaum einen Ausweg gab. Ich konnte nur langsam in eine zweite Lebensphase eintreten, eine Phase in der ich mich noch befinde. Wie eine Vorahnung dessen, was kommen sollte, nahm die Musik den Charakter einer rastlosen Jagd durch das Leben (im zweiten Satz) und den eines langsamen und traurigen Überblicks über das Leben an der Schwelle zum Tod (im dritten Satz) an.“ Das Konzert hat eine derartige Verlorenheit, die man nur selten in einem Werk findet, es ist tieftraurig und voller Melancholie, klingt wie eine Rückschau mit den für Schnittke so typischen Zitaten und Einschüben von Filmmusik, sowjetischen Militärmärschen, Tanzmusik – es ist der Versuch das Leben in seiner Gesamtheit zu zeigen. Antoine Tamestit als Solist des Abends beeindruckt sehr, es gibt nur wenige Momente, an denen die oftmals tieftraurige Linie seines Instruments nicht die Musik dominiert, stellenweise verstärkt durch die Röhrenglocken, wie ein einziger Trauerzug klingt diese Musik und hinterlässt zum Ende ein Leere, eine Stille, eine Betroffenheit – so viel Zerbrechlichkeit, so viel Zartheit und so viel Düsternis zuletzt, wenn sich das Werk mit seinen letzten Tönen leise hinausschleicht aus dieser Welt. Also ganz wunderbare Musik von Schnittke, dessen Oper „Leben mit einem Idioten“ mich bereits vor ein paar Tagen an der Oper Zürich begeistert hat. Die Verinnerlichung des Werkes, diese Intensität ist Tamestit bei seinem fast durchgängigen Spiel anzusehen, die leichte Erschöpfung im Anschluss ebenso, wenn er den wohlverdienten Applaus entgegen nimmt und uns noch mit dem Capriccio op. 55 von Henri Vieuxtemps als Zugabe mit der Welt wieder etwas versöhnt, auch wenn hier ebenso viel Melancholie mitschwingt. Es ist fast schade, gibt es so wenig Konzertliteratur für die Viola, ich mag mich noch gut an das Debüt von Tamestit 2015 in der Zürcher Tonhalle erinnern, er spielte damals Bohuslav Martinus Rhapsody-Concerto. Und mir fällt gerade noch ein, dass ich bereits 2022 vom Violakonzert von Alfred Schnittke sehr begeistert war (am Lucerne Festival mit den Berliner Philharmonikern unter Daniel Harding, mit Tabea Zimmermann an der Viola, bei der Tamestit unter anderem auch studiert hat…).

Alfred Schnittke: Violakonzert – Encore Antoine Tamestit: Henri Vieuxtemps: Capriccio op. 55 – Robert Schumann: Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61

Nach diesem beeindruckten emotionalen Werk Schnittkes, kommt mir dann nach der Pause Schumanns 2. Sinfonie fast schon etwas banal daher. Ich will nicht ungerecht sein, das Adagio hat mich dann schon sehr berührt, insgesamt ist dieser Schumann in einer sehr flotten Interpretation Popelkas zu hören. Es ist sein Debüt mit dem Tonhalle Orchester und es macht grosse Freude ihm zuzusehen, wie er sich bei beiden Werken voller Elan und grosser Begeisterung, munterem Augenzwinkern und aufmunterndem Zulächeln mit den Musikern verständigt, das wirkt so mitreissend und begeisternd, voller Freude und ohne die oftmals so stoische Dirigenten-Akkuratesse der alten Schule. Ich habe selten einen so fröhlich wirkenden Dirigenten am Pult erlebt – toll! Ein wunderbarer Start ins Wochenende.

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