Järvi/Gabetta: Saint-Saëns/Sibelius – Tonhalle Zürich 15.03.2024

Ein sehr cooles Event und gleichzeitig ein kluger Marketing-Schachzug – die Tonhalle LATE. Mittlerweile ein Klassiker, findet diese Veranstaltung zwei mal pro Saison statt, ist immer ausverkauft, also rappelvoll und mit überwiegend jungem Partyvolk in Feierlaune. Das Motto: Classic meets Electronic. Nach einem klassischen Konzert mit Werken aus dem Programm der vorangegangenen Konzerte begegnen sich im Anschluss zwei Welten. Orchestermitglieder interpretieren zusammen mit angesagten Live-Acts im Club klassische Motive. Spannend und anstrengend zugleich…

Die Veranstaltung beginnt um kurz nach 22.00 Uhr mit einer launigen Begrüssung und Kurzeinführung von der Solistin des Abends SOL GABETTA (immer wieder reizend) und Music Director PAAVO JÄRVI (immer wieder souverän und humorvoll). Konzerte in der Tonhalle sind für mich normalerweise sehr kontemplative Momente und so bin ich abgelenkt und irritiert vom Lärm, den lauten Gesprächen, dem amüsierten Gekicher, Gegacker und Geschwätz, das von der anderen Generation hinter mir auf mich einprasselt. Es ist eben 10 Jahre her, seit meiner letzten Tonhalle LATE. Ich bin 10 Jahre älter. Vielleicht schon etwas eingefahren. Jedenfalls weiss ich ganz sicher, auf was ich keine Lust mehr habe. Aber die Aussicht auf das Konzertprogramm und die Drinks im Anschluss sind ein Hoffnungsschimmer.

Camille Saint-Saëns:  Cellokonzert Nr. 1 a-Moll op. 33 – Jean Sibelius: Aus der «Lemminkäinen-Suite» op. 22: «Lemminkäinen und die Mädchen auf Saari» und «Lemminkäinen zieht heimwärts»

Stimming (Live) – styro2000 (DJ Set) – Alberto Navarra, Flöte -Nabila Chajai, E-Harfe – Philipp Wollheim, E-Violine – Amelia Maszonska, E-Violine – Katarzyna Kitrasiewicz-Losiewicz, E-Viola – Sandro Meszaros, E-Violoncello – Kamil Losiewicz, E-Kontrabass – Ksenia Ignatenko, Arrangements – Kollektiv Packungsbeilage, Visuals

Saint-Saëns 1. Cellokonzert ist in den letzten Jahren in den Konzertsälen häufiger zu hören, obwohl es zu den eher unbekannten Werken gehört. Es ist ungewöhnlich, weil es fast klingt, als wäre es durchkomponiert. Interessant, dass direkt nach dem ersten Akkord das Cello zu spielen beginnt, es keine Orchestereinleitung gibt. Gabetta spielt dies äusserst kraftvoll und energisch, findet später dann zu wunderbar weichen und warmen Tönen und einer unglaublichen Virtuosität im letzten Satz. Im Anschluss gibt es eine interessante Auswahl aus den selten zu hörenden «Lemminkäinen-Legenden» von Jean Sibelius. Zu hören sind «Lemminkäinen und die Mädchen auf Saari» und «Lemminkäinen zieht heimwärts», das ist spannende, kraftvolle Musik mit viel Blech und Schlagwerk am späten Abend. Das ist opulente nordische Musik: die dunklen Wälder, die Legenden, die weiten Landschaften, all das ist zu spüren – Lemminkäinen ist einer der Helden im finnischen Nationalepos „Kalevala“, ist eine mythologische Figur. Und einige Passagen erinnern stark an die Opulenz und den Bombast Richard Wagners und seiner Helden-Epen. Die ausgesparten Teile werden im Anschluss im Foyer zum Ausgangspunkt für die elektronischen Kollaborationen und klingen dann natürlich komplett anders als im grossen Tonhalle-Saal. STIMMING, bekannt und (offenbar) weltweit gefragt, verbindet seinen mit analogen Geräten erzeugten dubbigen Minimal-Techno mit Musiker*innen des Tonhalle-Orchesters Zürich. Gemeinsam begleiten sie Lemminkäinen in die Tuonela, dem Reich der Toten – eine Welt von Dunkelheit, Schönheit und Gefahr. Visualisiert wird die Reise vom KOLLEKTIV PACKUNGSBEILAGE, die Arrangements sind von KSENIA IGNATENKO. Das ist technisch und visuell sehr interessant, vor allem, wenn man hinter dem Technik-Pult mit seinen vielen Laptops steht und zusieht, wie die Visualisierung live zur Musik entsteht. Grosse Kunst und etwas Magie! Die Klimaanlage der Tonhalle ist jedoch nicht für einen Clubbetrieb konzipiert und so ist die Luft nach kurzer Zeit heiss und stickig und erinnert mich an lange Clubnächte in jungen Jahren. Ja, so war das. Damals. Kurze Erinnerungfetzen an alte Partyzeiten tauchen auf, doch es siegt die Müdigkeit am Ende einer arbeitsreichen Woche.

Die Möglichkeit in kurzer Zeit viel Alkohol zu konsumieren besteht jedoch nicht, dafür sind die Warteschlangen an der Bar viel zu lang und der Service zu langsam und alles andere als Club-erprobt. Gegen 1.00 Uhr wird das DJ-Set von styro2000 dann etwas banal und wummert vor sich hin. Zeit zu gehen. Es bleibt die Frage, ob ich zu alt für derartige Events bin, zu festgefahren in meinen Erwartungen, zu wenig offen für Neues? Oder einfach zu müde am Freitagabend? Anyway – Music was my first love and it will be my last. Auch zu vorgerückter Stunde.

Zuletzt besuchte Konzerte:

Järvi/Apkalna: Poulenc/Fauré – Tonhalle Zürich 08.03.2024

Jordan/Kampe: Schumann/Wagner – Tonhalle Zürich 24.01.2024

Nagano/Ott/Eriksmoen: Ives/Dessner/Mahler – Tonhalle Zürich 18.01.2024

Albrecht/Helmchen: Beethoven/Strauss – Oper Zürich 17.12.2023

Järvi/Marshall: Dessner/Gershwin/Marshall/Rachmaninow – Tonhalle Zürich 15.12.2023

Sonic Matter Festival: Valade/Dolberg: Ligeti/Ben-Shabetai/Fallah/Fedele – Tonhalle Zürich 01.12.2023

Young: Dessner/Strawinsky/Strauss – Tonhalle Zürich 26.11.2023

Dutoit/Argerich: Ravel/Schumann/Beethoven – Tonhalle Zürich 22.11.2023

4 Kommentare

  1. frau frogg

    Ach, die Lemminkäinen-Suite möchte ich einmal wirklich hören, seufz! Was das Älter- und schneller Müdewerden betrifft, denke ich immer: Ich mache das Beste draus und gehe, wenn es reicht. Es ist ein bisschen traurig, aber es macht auch neue Türen auf.

    Gefällt 1 Person

    1. arcimboldis_world

      Hahahahaha. Was machte es denn für Türen auf? Ich finde das nicht traurig, das ist der Lauf der Dinge, man versucht einfach lange an gewissen Dingen festzuhalten…. aber ich gehe dann auch, wenn es reicht. Herzlichst aus Zürich. A.

      Like

Diesen Beitrag von arcimboldis_world kommentieren