Weiter geht es auf dem Weg durch die „Klassiker“ der Literaturgeschichte. Mit Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ nun also ein Werk des 18. Jahrhunderts, das (vermeintlich) lange Zeit als Jugendbuchklassiker galt, der Meinung kann ich mich überhaupt nicht anschliessen – in jungen Jahren hätte mich das Buch absolut gelangweilt, aber auch als Erwachsener ist es ein K(r)ampf, sich heutzutage damit zu befassen – daran ändert auch die neu übersetzte und sehr schön gestaltete Ausgabe des Mare-Verlags nichts…
Ein Abenteuerroman ist „Robinson Crusoe“ nicht wirklich, die abenteuerlichsten Ereignisse finden eher vor und nach der langen Zeit auf der einsamen Insel statt. Die vielen einsamen Jahre sind für den gestrandeten Robinson vielmehr eine Zeit des Sinnens und Nachdenkens, eine Zeit der religiösen Entwicklung, aber für den Leser auch die interessante Feststellung, dass viele Fertigkeiten im Leben eines Menschen nicht nur aufgrund von Talent oder Wissen entstehen, sondern aus der Notwendigkeit der Lebensumstände.
Mit dem Werk, das unmittelbar nach seiner Veröffentlichung 1719 in London reißenden Absatz fand, hat der Kaufmann, Journalist und frühe Aufklärer Daniel Defoe Literaturgeschichte geschrieben. Indem er die wahren Erlebnisse des Seefahrers Alexander Selkirk ausschmückte und zu dem fiktionalen Lebensbericht eines Mannes namens Robinson Crusoe verarbeitete, schuf er die Figur des Schiffbrüchigen schlechthin, etablierte mit der Robinsonade ein eigenes, von zahlreichen Romanen und Filmen zitiertes Motiv, erreichte eine weltweite Leserschaft und gilt heute als ein wichtiger Begründer der modernen europäischen Erzählliteratur und des Abenteuerromans (mare Verlag).
Lange lag das Buch auf dem Bücherstapel und auch nachdem ich damit begonnen hatte, habe ich es immer wieder einmal für längere Zeiträume beiseite gelegt und dann erneut zur Hand genommen. Bei diesem Plot ist das leicht möglich, man kann sofort wieder einsteigen. Natürlich erscheint einem aus heutiger Sicht diese koloniale Lebens- und Erzählweise sehr befremdlich und löst leicht unangenehme Gefühle aus, wenn zum Beispiel gleich zu Beginn des Romans der nach seiner Flucht gerettete Crusoe „seinen Jungen“ verkauft und der Käufer grosszügig zustimmt, diesem nach 10 Jahren die Freiheit zu schenken, sofern er bis dahin zum Christen geworden ist. Oder, wenn nach vielen einsamen Jahren „Freitag“ auftaucht und die Rollen sofort klar sind: „Schliesslich legte er unmittelbar vor mir den Kopf flach auf den Boden und setzte wie zuvor meinen Fuss darauf, dieses mal jedoch den anderen. Daran schlossen sich alle nur erdenklichen Gesten der Unterwerfung, der Demut und des Gehorsams an, durch die er mich wissen lassen wollte, dass er mir dienen würde, solange er lebe.“ Das löst doch etwas Unbehagen und ein befremdliches Gefühl hab, es fällt schwer, dies mit Distanz zu betrachten. Dennoch ist dieser Roman aus keinem Literaturkanon wegzudenken und letztendlich ist man froh, hat mich sich bis zum Schluss „durchgekämpft“. Die Neuausgabe schliesst mit Anmerkungen, einer editorischen Notiz und einem Nachwort von Günther Wessel.
„Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe in ungekürzter Neuübersetzung von Rudolf Mast, Mare Verlag, 2019, ISBN: 978-3-86648-291-3 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar auf Anfrage kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim MARE Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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Ich habe vor kurzem Gullivers Reisen, Die Schatzinsel und Briefe von Marcel Schwob über seine Reise nach Samoa (unter dem Titel „Manapouri“) gelesen und kann das unangenehme Gefühl, das sich bei dir eingestellt hat, gut nachvollziehen. Einige meiner Ausgaben hatten erhellende Anhänge, die das Gelesene (auch historisch) gut eingeordnet haben. Das hat das Lesen dieser alten (Kolonial-)Geschichten für mich angenehmer gestaltet.
Viele Grüße
Jana
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