Belshazzar – Oper Zürich 17.11.2019

Händels 1745 uraufgeführtes Oratorium „Belshazzar“ findet seine Grundlage – wie so häufig – im Alten Testament und ist im Repertoire der Konzertsäle eher wenig präsent. Es erzählt den Sturz des babylonischen Herrschers Belshazzar durch die Perser. Nun hat Regisseur SEBASTIAN BAUMGARTEN für das Opernhaus Zürich eine szenische Fassung erarbeitet. In der stark überfrachteten typischen Baumgarten-Inszenierung passiert einiges, in Erinnerung bleibt jedoch – neben einer überdimensionalen Raubkatze – überwiegend die grossartige Sängerriege, auch dank des wunderbaren Einspringers (für die erkrankte, aber spielende Tuva Semmingsen) JAMES LAING als Daniel (von der Seite singend) …

Durch diese sehr kurzfristige Umdisposition konnte nicht nur die Vorstellung stattfinden, als Besucher hatte man zudem das große Glück, gleich zwei herausragende Countertenöre zu erleben. Grossen Presserummel gab es bereits im Vorfeld zum Hausdebüt des derzeit stark gehypten polnischen Sängers JAKUB JÓZEF ORLINSKI in der Rolle des Perserführers Cyrus. Während Orlińskis Stimme eher scharf und schneidend, aber präzise und in den Koloraturen grossartig leicht daher kommt, nimmt die Stimme Laings komplett mit ihrer Sanftheit gefangen. (Orlinsksi fand ich schon grossartig in Cavallis „Erismena“ 2017 in Aix-en-Provence, James Laing kannte ich noch nicht – muss man sich unbedingt merken!!!) Als titelgebender Belshazzar beeindruckte musikalisch und darstellerisch der Luzerner Tenor MAURO PETER, eine imposante Erscheinung. Besonders in Erinnerung bleibt seine Auftrittarie sowie das kraftvolle „Oh dearer than my life, forebear!“ zusammen mit seiner resoluten Mutter Nitocris (LAYLA CLAIRE mit klar tönendem Sopran) – wohl das Highlight dieser Produktion. Schöne Stimmen auch von KATIA LEDOUX, THOMAS ERLANK und OLEG DAVYDOV als Three Wise Men sowie der gepflegte Bass von EVAN HUGHES als Gobrias. Der von JANKO KASTELIC einstudierte Chor (samt Zuzüger) klang ausgezeichnet und transparent, das Oratorium bietet für den Chor natürlich vielfältige musikalische Ausdrucksmöglichkeiten, szenisch ist der Chor – wie meistens –  an der Grenze zur Peinlichkeit und wurde hier überwiegend sängerfreundlich an der Rampe platziert (dabei möchte man ihn doch gar nicht immer so deutlich sehen). Baumgarten hat ein paar tolle Ideen, etwa wenn das von Gott geschriebene „Mene Tekel“ sich in Belshazzars Unterarm eintätowiert oder wenn Orliński als Cyrus seinen Einmarsch stehend auf einer überdimensional grossen Raubkatze beginnt und sich selbst entlarvt, indem kurz zu sehen ist, dass selbst dieses Riesentier nur Fake ist – modern times, alles nur Show. Zu diesem Zweck wird auch alles fortwährend gefilmt (etwas unnötig!) und wahrscheinlich sofort online gestellt oder gepostet – so funktioniert Politik heute. Babylon steht für apokalyptische Visionen und ist zeitlich deshalb nicht verortet, wichtig sind dem Regisseur Montagen, Brüche, Fragmente  – Babylons Herrscher Belshazzar ist ein heutiger Diktator, optisch eine Mischung aus Saddam Hussein und Gaddafi. Zeitgleich zur historischen Handlung wirft der Regisseur einen Blick in die Zukunft: Religionskriege, Umweltzerstörung, Ausbeutung von Ressourcen, Industrialisierung und eine düstere Zeit sind auf diversen Videoprojektionen zu sehen (Videodesign: HANNA DÖRR), dazu ein zweckmässiges Bühnenbild in Form einer schwarz-verkohlten Festung und diverser Projektionsflächen (samt kitschigem Technicolor-Filmplakat) von BARBARA STEINER. Dazu eine opulente Kostümschlacht von CHRISTINA SCHMITT, die bei den drei unterschiedlichen Volksgruppen natürlich aus dem Vollen schöpfen kann: so trägt das jüdische Volk zu seiner stilisiert-orthodoxen Kleidung T-Shirts die hinten mit einer leuchtend grünen Menora bedruckt sind und auf der Vorderseite Konterfeis berühmter Juden tragen (von Anna Seghers, Sophie Scholl über Barbra Streisand und Leonard Bernstein bis hin zu Sarah Jessica Parker), dazu ein wenig abgewetzter Nomadenchick für die Babylonier und die Perser ganz in schwarzem Leder. Nach meiner letzten Begegnung mit diesem Werk 1995 am Staatstheater Nürnberg – in einer ziemlich furchtbaren Inszenierung von Steffen Senger – hielt sich meine Lust auf dieses Oratorium in Grenzen. Die neue Produktion in Zürich ist jedoch absolut sehens- und hörenswert – langanhaltender Applaus für Chor und Solisten sowie LAURENCE CUMMINGS (der in Zürich bereits das Marthaler-Projekt „SALE“ sowie Purcells „King Arthur“ (R: Herbert Fritsch) musikalisch betreut hat) am Pult von LA SCINTILLA.  Am Ende marschieren alle zusammen und losgelöst von ihrer Religion zum herrlichen Schlusschoral „I will magnify thee“ in eine gemeinsame Zukunft, über dem Ensemble   auf der Leinwand jedoch laufen dystopische Weltuntergangsszenarien…

Zuletzt besuchte Vorstellungen:

„Cosi fan tutte“ – Oper Zürich 8.11.2019

„Die Sache Makropulos“ – Oper Zürich 6.10.2019

„La Traviata“ – Oper Zürich 29.09.2019

„Nabucco“ – Oper Zürich 24.09.2019

„Al gran sole carico d’amore“ – Theater Basel 22.09.2019

„Einstein on the Beach“ – Grand Théâtre de Genève 13.09.2019

14 Kommentare

  1. Nemorino

    An der Oper Frankfurt haben wir Jakub Józef Orliński schon mehrmals erlebt, z.B. in Händels Rinaldo. Sowohl seine Stimme als auch seine tänzerischen/akrobatischen Fähigkeiten sind beeindruckend.

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